Ein Gespräch mit Yvonne Dicketmüller.
DIE FRAGEN STELLTE THEATERWISSENSCHAFTLERIN BIRGIT WIENS (BERLIN/MÜNCHEN).
Als Puppenspielerin, Figurenbauerin und Kostümtechnikerin interessiert sich Yvonne Dicketmüller für das Materialverhalten von Kostümen und Objekten. 2021/22 entwickelte sie an der Akademie für Theater und Digitalität Dortmund einen Workflow für die Herstellung von Kostümen aus 3D-gedruckten Stoffen. Zu ihren künstlerischen Forschungsfragen gehört die Herstellung von Kleidungsstücken mit verschiedenen Bewegungsqualitäten sowie die Frage, wie sich Textilien mit verschiedenen Eigenschaften mit 3D-Druckern produzieren lassen; ein weiterer Schwerpunkt sind leitende Textilien, sogenannte E-Textiles. Mit ihrer mobilen Puppenbühne, dem RoboTheater, setzt sie sich zudem mit Robotik auseinander und realisiert Inszenierungen für Kinder.
Im Rahmen unserer Labor-Reihe leitete sie in Frankfurt das „E-Textiles-Labor“ und führte mit uns danach ein Gespräch.
Du bist gelernte Puppenspielerin, hast aber auch Elektrotechnik studiert und legst einen sehr besonderen Fokus auf Kostüm sowie Figuren- und Objekttheater und Digitalität. Wie beschreibst Du selbst Deine künstlerische Perspektive, worauf kommt es Dir besonders an?
Es geht mir darum, unterschiedliche Ansätze, die mir spannend erscheinen, in neuen Kontexten zu erproben. Das können Verarbeitungsverfahren, Produktionstechniken, aber auch Materialien sein. Das Projekt zu den 3D-gedruckten Kostümen beispielsweise, an dem ich als Fellow an der Akademie in Dortmund arbeitete, entsprang einerseits meiner Faszination für Textilien und zum anderen der Freude an technischen Spielereien und Tüfteleien sowie meiner damals noch frischen Faszination für Computational Design und 3D-Druck. In einem Figurentheaterprojekt, das dem vorausging, Stina und der Tentakelarmroboter, hatte ich zum ersten Mal mit CAD-Software und 3D-Druck zu tun: Ich habe mich in verschiedene Softwarelösungen wie Rhino 3D und Onshape eingearbeitet und dann erstmals Figuren und auch Requisiten in 3D gedruckt. Nach dieser ersten, intensiven Auseinandersetzung wollte ich die für mich neue Technik weiter erproben und in meine anderen Interessensgebiete integrieren bzw. kombinieren. So entstand die Idee, textile Strukturen mit dem 3D-Drucker zu explorieren: Könnte ich Materialien herstellen, die gewebten oder aber gestrickten Stoffen ähneln? Wie müssten sie beschaffen sein, und welche Muster könnten sie haben? Könnte man aus solchen 3D-gedruckten Stoffen ganze Theaterkostüme herstellen? Wie wäre das zu bewerkstelligen, und wie ließe sich ein Kostüm daraus zusammensetzen?
Das Tüfteln an solchen Fragen und schrittweise Lösen vielschichtiger technischer, aber auch verfahrenstechnischer Fragen reizt mich sehr. Der Anspruch ist, die eigenen Kenntnisse mit jedem Projekt zu erweitern und künstlerisch immer neu and anders zu überzeugenden Ergebnissen zu kommen.
Man kann sich im Kostümbereich sowie im Figuren- und Objekttheater unterschiedliche digitale Tools und auch ganz unterschiedliche Experimente und Realisierungen vorstellen.
Meine Ansätze unterscheiden sich von Projekt zu Projekt. Bei der Realisierung meiner Roboter-Installation „Ein Platz an der Sonne“ habe ich 2018 erstmals mit einem Lasercutter gearbeitet, um Elemente der Figuren herzustellen. Beim nächsten Projekt, Stina und der Tentakelarmroboter, wollte ich eigentlich analog und mit einem „Crankie“ arbeiten – das ist ein Apparat, der auf das 18. Jahrhundert zurückgeht: Indem man durch den Kasten Papier kurbelt, kann man in beweglichen Panorama-Bildern Geschichten erzählen. Zudem sollten in einzelnen Szenen Schattentheaterfiguren erscheinen. Dann passte aber ein LED-Panel so gut in den Kasten und hat das Stück so gut beleuchtet, dass ich es behalten habe. Anstelle der Schattenfiguren brauchte es nun andere Figuren, und bei einer Roboter-Geschichte bot es sich an, diese Roboter in 3D zu drucken. Da ich zu dem Zeitpunkt noch nicht mit 3D-Druck gearbeitet hatte, war das, wie schon erwähnt, ein Startpunkt.
Der jeweilige Ansatz bildet sich immer zwischen Notwendigkeit (hier: ich brauchte Figuren für das Stück), künstlerischen Überlegungen (wäre doch toll, wenn ein 3D-Drucker, also eine Maschine, die Roboterfiguren für die Inszenierung herstellt) und Interesse an einer Technologie (in dem Fall für 3D-Druck), die ich mir gern zu eigen machten wollte. Ähnlich verhält es sich mit den E-Textiles: Da setze ich, in Kombination mit Microcontrollern und weiteren technischen Komponenten, leitende Fäden und Stoffe ein, um Kostüme und Figuren zu bauen. Auch meine gewebten Lautsprecher sind ein E-Textiles-Projekt, bei dem technische Materialien, in dem Fall Drähte, einer textilen Verarbeitungsmethode – dem Weben – unterworfen werden.
Mit Blick auf unsere Labor-Reihe zu Theater, Szenografie und Digitalität, wie würdest Du Deinen Beitrag zu der Diskussion umschreiben?
Ich erprobe gern digitale Mittel, die ich dann aber schnell wieder auf eine analoge, materielle, stoffliche und sehr konkrete Ebene hole. Das heißt, ich arbeite gern mit Dingen, die man anfassen kann, beispielsweise die Samples meiner 3D-gedruckten Stoffe. Dabei geht es um sehr haptische Erfahrungen. Ich habe die vielen verschiedenen Samples immer wieder angefasst, an ihnen gezogen, sie gedehnt oder verdreht. Allen, die in meinen Arbeitsraum kamen, zum Beispiel den anderen Fellows in Dortmund, ging es ähnlich. In dem Sinne interessiert mich, Digitales ins Analoge zu holen, es fassbar, berührbar zu machen und es aus seiner rein digitalen Existenz herauszulösen. Zudem interessiert mich durchaus auch das Forschen und Arbeiten mit Apparaten sowie mit recyceltem Material und ausgedienter Technik, z.B. habe ich in einem meiner Stücke ein Modul aus einem DVD-Player in einer kleinen Roboter-Figur verbaut.
Dein Labor, das in Frankfurt stattfand, hatte den Schwerpunkt E-Textiles. Wie war der Workshop aufgebaut, und was konnten die Teilnehmer*innen mitnehmen?
Im E-Textiles-Labor ging es vor allem darum, leitende textile Materialen kennenzulernen und mit weiteren technischen Elementen, wie Sensoren und Microcontrollern, zu gestalten. Der besondere Reiz besteht für mich darin, anderen zu zeigen, dass man im Bereich textiler Gestaltung – mit oft vertrauten Materialien und Alltagstechniken wie dem Nähen oder Sticken – bereits Techniken und Anknüpfungspunkte hat, um mit Elektronikteilen, wie z.B. Sensoren, zu arbeiten. Was die Teilnehmer*innen selbst daraus machen, bleibt natürlich ihnen überlassen.
Yvonne Dicketmüller ist Puppenspielerin, Figurenbauerin, Kostümtechnikerin und Alumna der Akademie für Theater und Digitalität Dortmund. Zu ihren künstlerischen Forschungsfragen gehört die Herstellung von Kleidungsstücken mit verschiedenen Material- und Bewegungsqualitäten, 3D-gedruckte Kostüme und E-Textiles. Mit ihrer mobilen Puppenbühne, dem RoboTheater, das traditionelles Figurentheater mit moderner Technologie verbindet, setzt sich die in Bochum lebende Künstlerin auch mit Robotik auseinander und entwickelt Stücke für Kinder. Mehr Informationen unter https://yvonnedicketmueller.de