DARMSTADT 30.09. – 03.10.2022
Vom 30.09. – 03.10.2022 fand in Darmstadt die zweite Ausgabe des PAD-Festivals (Performing Arts und Digitalität) statt.
Das PAD „(…) bietet Publikum UND Fachbesucher:innen ein kuratiertes Programm, das den Stand der künstlerischen Innovationen diskutier-, erfahr- und erlebbar macht“, sagt Daniela Ginten (Leitung PAD Festival). Das Festivalprogramm bot Impulse in Gesprächsrunden des Konferenzteils und live oder online erlebbare Produktionen.
Visionieren auf dem PAD
Gastbeitrag von Lucia Becker
Das Festival „Performing Arts und Digitalität“ gliederte sich in ein Gastspiel-, ein Online- und in ein Konferenzprogramm. 13 nationale und internationale Produktionen, die sich mit digitaler Technologie und neuen Erzählformen befassen, bzw. sich vielfach an deren Schnittstellen bewegen, wurden in verschiedenen Spielorten präsentiert. Außerdem gaben mehrere Theatermacher*innen während des 3-tägigen Konferenzprogramms einen Überblick über ihr Digitales Schaffen in der Freien Szene, sowie an Stadt- und Staatstheatern. Die zentrale Frage der Konferenz-Abschlussrunde lautete: Was macht der Digitale Prozess mit dem Theater und was macht das Theater mit dem Digitalen Prozess?
Digitale Transformation am Theater
Unter dem Motto „Visionen schaffen, Utopien gestalten, wie sieht das Theater in der digital transformierten Welt aus?“, diskutierten Theaterschaffende über das Theater der Zukunft, u.a. Markus Lobbes, Tina Lorenz, Chris Salter, Ingo Sawilla, Cosmea Spelleken.
Debattiert wurde über die Digitale Transformation am Theater als herausfordernder Lernprozess, für den es eine Haltung und politisches Bewusstsein braucht. Um einige Stichpunkte zu nennen: Es geht darum, trotz digitaler Kommunikation und digitaler komplexer Technologien, Begegnungen mit Menschen zu gestalten, also neue Wege zu erfinden, um mit den Zuschauer:innen, aber auch neuen Publikumsschichten in Kontakt zu treten.
Gemeinschaftlicher Forschungsprozess
Es gilt, künstlerisch innovative Erzählformen/Spielweisen und Ästhetiken als Erweiterungen des analogen Raums zu schaffen, und Autoren:innen zu begeistern, dafür neue Texte zu schreiben und Textformate zu erfinden, und Komponist:innen zu bewegen, neue Werke dafür auf den Weg zu bringen. Die Digitale Transformation soll als ein gemeinsamer Prozess gestaltet werden, an dem alle, die am Theater arbeiten,Künstler:innen, Verwaltung und Techniker:innen, sich beteiligen.
Hochschulen sollen zu Laboren werden, wo geforscht und der Umgang mit digitaler Technologie in all ihren Facetten gelehrt wird.
In der Runde wurde immer wieder die Frage diskutiert, wie man die künftigen Generationen erreichen kann. Hier wurde z.B. die Meinung vertreten, dass nicht nur Technologie und digitale Medien Publikum anziehen, sondern dass man Geschichten erzählen soll, die von Emotionen und Gefühlen handeln, die die Menschen ansprechen. In diesem Zusammenhang wurde darüber gesprochen, dass sich durch den Umgang mit digitaler Technologie Wahrnehmungsebenen ändern, die es zu erforschen gilt, und über die wir vielleicht lernen können, wie neue Generationen denken.
Alle Diskutierenden wünschten sich, dass mehr kooperiert wird: zwischen Theatern, zwischen den Sparten, mit der Freien Szene, zwischen den Theaterschaffenden selbst, mit anderen Bildungsinstitutionen, mit Bildenden Künstlern, mit Künstler:innen jeder Disziplin.
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Ein Tag auf dem PAD
von Lucia Becker
Ich kam am 03. Oktober zum Vortrag von Chris Salter THEATER IN THE AGE OF ATMOSPHERE auf dem Festivalgelände an: Niemand ist im Innenhof zu sehen. Innen dann: ein kleiner, schwarz abgehängter Raum, ca. 10 Menschen sitzen mit VR Brillen auf hölzernen Drehstühlen und drehen sich immer wieder um sich selbst. Es gibt 2 Produktionen optional in VR zu sehen, KRASNOJARSK: EINE ENDZEITREISE IN 360 GRAD, und DIE WAND, ebenfalls in 360 Grad.
Ich sehe mir KRASNOJARSK an, mit Einstiegstutorial über die technischen Besonderheiten der VR-Brille, die sich ständig beschlägt.
Die trostlose Atmosphäre einer öden Küstenlandschaft in schwarz-weiß empfängt mich, Überblendungen mit Bildern einer heruntergekommenen Fabrikhalle, plötzlich, sehr nah. Die Darsteller:innen vor mir, neben mir oder auch woanders, wenn ich mich drehe. Das Ganze strahlt erstmal eine ungeheure Ruhe aus. Zusammen mit der Sprache, dem Text, den Geräuschen entwickeln die filmischen Bilder einen starken Sog. Nach dem Absetzen der Brille stehe ich etwas abrupt allein im Innenhof. Was war das jetzt für ein Theatererlebnis für mich? Austausch danach hätte ich gut gefunden….
Später an einem anderen Spielort, in der Centralstation, einem ehemaligen E-Werk und Kulturveranstaltungsort mitten in der Stadt, sehe ich ANIMATE, eine Performance/Installation in Augmented Reality. Hier ist das Erlebnis ein anderes: Zu Beginn sitze ich mit 6 weiteren Zuschauern:innen und 2 Schauspieler:innen im Kreis auf Baumstümpfen, diese lesen ganz klassisch einen Text vor, der eine Reise oder Flucht aus einer nicht mehr bewohnbaren Welt in eine noch dystopischere Landschaft beschreibt.
Im zweiten Teil des Abends werden wir Zuschauer:innen mit VR Brillen und Kopfhörern ausgerüstet, in einen leeren Raum geführt, in dem wir zunächst an einem Seil gemeinsam die Flucht/Wanderung in die entlegene Landschaft virtuell und haptisch miterleben – unter den Füßen spürt man beim Gehen Rindenmulch -, bis die Reise schließlich in einer imaginären Landschaft aus Geröll und Felsbrocken endet, in der ich die anderen Zuschauer:innen wahrnehme, und in der sich die Landschaft immer wieder aufzulösen scheint, in die Luft erhebt, sich neu formiert und am Schluss in sich zusammenfällt. Der räumliche Sound eines gigantischen Getöses verstärkt die Wucht der imaginären Bewegungen und Bilder. Ich denke, daß mich die Mischung aus realem Raum und Eindrücken einer virtuellen Welt im Moment mehr interessiert als rein filmische Momente und Situationen…
Rückblickend stelle ich fest, dass ich nicht nur einige andere Produktionen sehr gerne live gesehen, sondern auch die Konferenz mit ihren vielseitigen und inspirierenden Vorträgen miterlebt hätte. Diese gibt es ja jetzt wunderbar digital nachzuhören und zu sehen.
Eindrücke des 03.10.2022 auf dem PAD-Festival von Lucia Becker, freiberufliche Bühnen- und Kostümbildnerin und Mitglied der AG Digitaler Raum.