Wechselwirkung von digitaler
Technologie und Szenografie

Andrea Riedel beim Kick-off in Berlin. (Foto: Time Prints)
Andrea Riedel beim Kick-off in Berlin. (Foto: Time Prints)

Überlegungen und Fragen

Gastbeitrag von Andrea Riedel

Überlegungen

Mein großes Interesse gilt der stetig wachsenden Einflussnahme von digitalen Technologien und Künstlicher Intelligenz auf unsere europäische Kultur, unser soziales Leben und die psychologische Wirkung auf uns Individuen.

Workshops wie Tracking-Methoden am Körper, 3D Engines und Game Thinking, Methodisches Design im Theaterkontext mit dem DE:HIVE Institut / FB5 Game Design HTW Berlin, führten mich in die Grundlagen der Cybernetik und regen meine szenische Phantasie an. Als Performance Designerin sind meine analogen Entwürfe und Planspiele für das Schauspiel- und Musiktheater, die Grundlage, um den nächsten Schritt in eine mir noch nicht voll erschlossene neue Dimension zu gehen. Diese inneren Bilder werden von mir in 3D
Zeichnungen erstellt und durch Animation in Bewegung gesetzt. Mit der Beherrschung digitaler Gestaltungsprogramme wie Blender und Unreal Engine erschaffe ich mein eigenes Universum und lasse die von mir animierten Puppen tanzen. Ich bin Regisseurin in meiner Engine an meinem Computer.

Nun sind die programmierten szenischen Bilder für den Bühnenraum und die Schauspielauftritte, die auf eine Green Screen projiziert werden, Solo-Überlegungen, die mit Menschen, mit Sprache und Gesang bespielt werden sollen. Es entsteht in Echtzeit ein digitaler, vom Computerprogramm berechneter Raum, der den Rahmen für den Schauspieler und Sänger bietet. Dies ist der Einstieg in eine hybride Performance.

Wenn ich diese Vermischung eines digitalen Raums mit real spielenden Menschen, diese Hybridität, aufheben möchte, widme ich mich der Technologie und Programmierung von Face- und Body Tracking. Mit der Kamera nehme ich die Bewegungen des lebendigen Körpers und die Bewegungen der menschlichen Gesichtsmimik meiner Darsteller auf, speise sie in meine Unreal Engine ein, wo sie dann auf 3D-Modelle, meine Avatare übertragen werden. Jetzt habe ich eine virtuelle Bühne mit virtuellen Avataren, meine Darsteller:innen. Ein großes Computerspiel kann beginnen… und die Technologie ist noch nicht ausgeschöpft.

Ich bevorzuge jedoch den Kontakt mit lebendigen Schauspieler:innen und Sänger:innen und gebe ihnen Smartwatches mit spezifischen Apps, um ihre Körperbewegungen abzunehmen und diese in meiner Engine weiter zu verarbeiten. Ich kann auch Kostüme mit leitfähigem Garn und integrierten Sensoren entwerfen oder ich nähe Chips in die Kostüme. Vom Computer aus, gebe ich digitale Impulse an die gechipten Darsteller:innen, die dann darauf reagieren oder reagieren müssen.

Rein hypothetisch frage ich mich: Was passiert, wenn ich den Bühnenraum verlasse und den Cyberspace betrete? Wie wäre es, wenn sich die Körper meiner Akteur:innen mit Hilfe von Nano-Partikel, die sie geschluckt haben oder sich in den Körper haben spritzen lassen, weltweit vernetzen, um einen performativen “Wireless Body Area Networks” aufzustellen? Das ist natürlich Science-Fiction, aber spannend wäre es. Haben die Performer:innen der Zukunft ein Körper-Chip-Implantat? Der Chip könnte im Körper wie ein Nasenring
eingebettet sein und Informationen an meinen Computer senden, der seinerseits Informationen zurück an den Performer:in spielt. Dies könnte eine Cyborg-Performance werden.

Aber zurück zu den „Laboren für Digitale Szenografie“. Die große Chance der temporären Labore sehe ich darin, unterschiedliche digitale Technologien kennenzulernen, zu verstehen und anzuwenden. Zum Beispiel um hybride Bühnenraum- und Performanceanordnungen zu entwerfen. Auch können szenische Entwürfe und die sich daraus ergebenden Anordnungen und Abläufen, in den Laboren erarbeitet und überprüft werden. Besonders wertvoll erscheint mir die gemeinsame Auseinandersetzung von Szenograf:innen mit der Frage, wie digitale Mittel die Kunstform Bühnen- und Kostümbild verändern und wie wir diese Veränderungen bewerten.

Um sich als Szenograf:in dazu positionieren zu können, ist der Diskurs mit Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Disziplinen, die unterschiedliche Positionen zu den sich stetig wachsenden und verändernden digitalen Technologien einnehmen, ein gutes und wichtiges Angebot der Labor-Reihe.

Fragen

Folgende Fragen stelle ich mir in Bezug auf digitale Technologien und Szenografie:

  • Wie und warum möchte ich digitale Mittel für den szenischen Raum einsetzen?
  • Welcher Dramaturgie folge ich und was möchte ich mit den angewandten Technologien erzählen?
  • Verliert eine Theateraufführung, die mit digitalen Mitteln gekreuzt und erweitert wird, wie z.B. mit VR-Brillen oder AR- Brillen sein kollektives unmittelbares und lebendiges Erlebnispotenzial?
  • Wie immersiv ist die räumlich szenische Wahrnehmung, wenn wir als Zuschauer in einen ungegenständlichen, voll projizierten Bühnenraum schauen?
  • Wieviel Eros, d.h. körperliche Anziehungskraft haben Face-Tracking und Body-Tracking?
  • Warum haben digitale hybride szenische-Räume einen für mich sterilen, oft unsinnlichen und kontrollierten Ausdruck? Was bedeutet das für unsere Wahrnehmung?
  • Können wir die Transformation der Gesellschaft, die mit digitalen Technologien vorangetrieben wird, im Theater und auf der Bühne widerspiegeln?”

Andrea Riedel ist Bühnen- und Kostümbildnerin für Theater und Film. Seit 2010 leitet sie als Administratorin das Kostümforum und veröffentlicht kulturpolitische Nachrichten. Andrea Riedel ist Mitglied des Bundes der Szenografen und nimmt regelmäßig an den Treffen der AG Digitaler Raum teil.